Ich freue mich sehr, die Rolle der Jasmin in Georg Friedrich Haas Oper "Koma" am 24.7.2024 mit dem Klangforum Wien unter der Leitung von Bas Wiegers bei den Salzburger Festspielen zu übernehmen.
Kritiken gesammelt Dolente partita, Stand 3.5.2024
tamtam_April2024.pdf
Neue Platten
Mit herrlicher Stimme, die alle Nuancen der Klassik auf den Punkt bringt, interpretiert Pia Davila voller Gefühl und Zuneigung Songs des italienischen Frühbarocks. Ihr zur Seite steht das Ensemble Musica getuscht, das unter der Leitung des Lautenisten Bernhard Reichel steht. Das Ensemble ist auf Musik des Frühbarocks spezialisiert und präsentiert die populären Stücke dieser Zeit (1550-1650). So können wir u.a. Monteverdi, Frescobaldi und Kapsberger genießen. Als musikalischer Rahmen werden Kompositionen von Salamone Rossi mit Leben und Freude versehen.
Audio Stereoplay_06-2024
Monteverdi, Rossi u.a.
In den italienischen Frühbarock führt diese CD, die mit vokalen und instrumentalen Werken Monteverdis und seiner Zeitgenossen einen emotionalen Blick auf die biblischen Frauenfiguren Maria und Maddalena wirft. Die Sopranistin Pia Davila vermittelt die ganze Bandbreite der in den Stücken transportierten Gefühle: Sie führt ihre Stimme souverän, differenziert und in der Höhe ohne Schärfe. Ähnlich konzentriert und ausdrucksstark musizieren die Mitstreiter des historisch informierten Ensembles Musica getutscht. Abgerundet wird diese Produktion von dem warmen, transparenten Klang. Nicht nur für Freunde der Alten Musik eine klare Empfehlung. Andreas Fritz
Besprechung CD - Klassik heute
Von Thomas Baack, Veröffentlicht am 20.03.2024
Dolente Partita Madonne e Maddalena
Das 2020 gegründete Ensemble Musica getutscht, – über den putzigen Namen später – bestehend aus Bernhard Reichel (Theorbe und Leitung), Mechthild Karkow (Barockvioline), Claudius Kamp (Blockflöte und Dulzian) und Julius Lorscheider (Claviere) hat sich für sein CD- Debüt mit der Sopranistin Pia Davila, die bereits interessante Liedaufnahmen eingespielt hat, zusammengetan, um Kompositionen des italienischen Frühbarock zu präsentieren. Dabei kreisen die Vokalwerke um La Madonna und La Maddalena. Diese werden in Instrumentalwerke von Salamone Rossi und Girolamo Frescobaldi eingebettet.
„Musica getutscht“
Der Name des Ensembles ist kein Schreibfehler, sondern bezieht sich auf „Musica getutscht und ausgezogen“, die erste in deutscher Sprache geschriebene und 1511 gedruckte Instrumentenkunde des Oberpfälzer Pfarrers Sebastian Virdung. Da der Titel zu frivolen Assoziationen geradezu verführen könnte, hier die Auflösung: „getutscht“ bedeutet „verdeutscht“ und „ausgezogen“ bezieht sich in diesem Fall auf den Auszug aus einem größeren Werk, das Virdung zwar verfasste, aber aus Kostengründen nicht in Druck geben konnte. Das Manuskript hierzu gilt als verloren.
Leidenschaft und der Beginn der Triosonate
Bei den Vokalkompositionen handelt es sich um Monodien, die die beiden Marien häufig in Ausnahmesituationen zeigen. Das extremste Beispiel hierfür dürfte Tarquinio Merulas Canzonetta sopra la Nanna sein: Die Melodie der Canzonetta, die Maria beim Kindlwiegen – wohl auf der Flucht nach Ägypten – zum Inhalt hat, steht in D-dorisch, liegt jedoch für über 160 Takte über einem Basspendel das mit dem monotonen Wechsel zwischen einem A-Dur und einem g-Moll Sextakkord mit Septimenvorhalt das Knarren der Wiege malt. Die Panik der Madonna spiegelt die sich über für die damalige Zeit höchst ungewöhnliche zwei Oktaven (g-g2) erstreckende Gesangspartie. Magdalena beklagt in einer geistlichen Kontrafaktur des Lamento d’Arianna von Claudio Monteverdi den Tod Jesu. Giovanni Rovetta bietet der Solistin in O Maria, quam pulchra es die Gelegenheit ihre exzellente Koloraturtechnik zu demonstrieren. Dass sie die Diminution beherrscht zeigt ihre Version von Monteverdis Salve Regina.
Den instrumentalen Schwerpunkt bilden Kompositionen des jüdischen Geigers Salamone Rossi, der als Erfinder der einsätzigen Triosonate gilt. Dessen Sinfoniae und Sonaten sehen auf dem Papier recht einfach aus, rechnen jedoch mit ausgiebigen Verzierungen, was Blockflöte und Geige hier vorbildlich umsetzen. Sehr schön auch die Mischung der beiden Instrumente bei denen ich mir zu Beginn nicht sicher war, ob nicht zwei Blockflöten beteiligt sind.
Das Thema von Girolamo Frescobaldis Variationen über La Monica war ein internationaler Hit. Protestanten kennen die Melodie als Von Gott will ich nicht lassen, die Engländer als Queens Alman(Variationen von William Byrd), die Franzosen als Noël Une vierge pucelle. Der
italienische Text handelt von einem Mädchen, das nicht ins Kloster will. Eine agogisch sehr feine Interpretation des nicht gerade einfachen Werks glückt Julius Lorscheider.
Con suavitá e passione
Endlich hört man in diesem Repertoire mit Pia Davila einmal einen vollen lyrischen Sopran mit weitem Spektrum der Klangfarben, der sich traut, die Stimme nicht künstlich zu verkleinern und sich erlaubt, das nie penetrante Vibrato einfach zuzulassen. Dies kommt sowohl der musikalischen Linie als auch dem reibungslosen Abrollen von Koloraturen zugute. Instrumental ist ebenfalls alles brillant gelungen. Wollte man mäkeln, könnte man Claudius Kamp empfehlen, noch mehr darauf zu achten, dass Staccati keinen unfreiwilligen Akzent erhalten und das Kürzen den Beginn eines Tones noch keinen Einfluss auf dessen Ende haben sollte. Sehr schön gelingt die Realisation des nur kaum bezifferten Continuo. Gute Idee von Bernhard Reichel, den Ostinato im Merula auf den freien Bass-Saiten der Theorbe zwei Oktaven tiefer zu spielen.
Die Booklet Texte beschreiben das Gespielte treffend. Eine Namenserklärung und eine Liste der verwendeten Instrumente wären sinnvoll gewesen. Die Aufnahmetechnik scheint die Geige ein wenig zu vernachlässigen.
Fazit: Sehr gelungene Debüt-CD eines jungen Ensembles. Klar empfohlen.
Fono-Forum, Mai 2024
Dolente partita. Werke von Monteverdi, Merula, Frescobaldi, S. Rossi u.a.; Pia Davila, Ensemble Musica getutscht, B. Reichel (2023); Coviello
Schon früh wurden die Jungfrau Maria und Maria Magdalena mit allerlei Kompositionen bedacht. Aus diesen oftmals zwischen geistlich und weltlich schwankenden Stücken haben Pia Davila und Bernhard Reichel ein sehr ansprechendes Programm entwickelt, das durch die Einbeziehung einzelner Instrumentalstücke sorgfältig in ein Gleichgewicht gebracht wurde. Der stete Wechsel von instrumental und vokal lässt nie den Eindruck von Monotonie aufkommen, der sich bei Solo-Recitals rasch aufdrängen kann. So entsteht ein schöner Überblick über die Marienverehrung im Frühbarock mit manchen selten zu hörenden Stücken.
Die Sopranistin Pia Davila meistert den Stile recitativo mit viel Ausdruck und schöner stimmlicher Flexibilität. Besonders hervorzuheben ist die gute Textverständlichkeit, die für diese Sorte von Musik unerlässlich ist. So wirken die Affekte sehr echt und anrührend. Und auch die gestalterische Kraft versiegt nicht bei Tarquinio Merulas wunderbarer „Canzonetta sopra la nanna“, bei der die ostinate Begleitung auf ein Minimum beschränkt ist – was vor allem die bedrohliche Zukunft des Jesus-Kindes versinnbildlicht. Musica getutscht bietet mit den Sinfonie und Sonaten Salamone Rossis ganz neue Klangfarben, die zur Abrundung des Programms stets willkommen sind. Das gilt auch für den fröhlicheren Ausklang mit Mazzocchis Ciaconna, bei der auch Pia Davila einmal schwungvoller agieren darf. Reinmar Emans
NDR
Das Neue Album, 20.3.2024
von Henningsen, Ulrike
https://www.ndr.de/kultur/Das-Neue-Album-Pia-Davila-Dolente-Partita,audio1597656.html?fbclid=IwAR3Hu3N7wAo_8wyUQ8JPHK_pc48csBEBdd1fwTBhh4DE_Rzy2FkJwooYxpc
Als „Lamento d`Arianna“ ging dieser Klagegesang in die Musikgeschichte ein. Als „Lamento della Maddalena“ präsentiert Pia Davila das Werk. Beide Kompositionen sind von Claudio Monteverdi, aus Ariadne wird hier Maria Magdalena, und aus Theseus wird Jesus. (Musik) In beiden Varianten gibt der Komponist den Gefühlen tiefer Verzweiflung eine musikalische Form und Pia Davila macht spürbar, wie schmerzhaft der Verlust eines geliebten Menschen sein kann und auch wie vielschichtig der Prozess des Abschiednehmens. Damit setzt sie den für die Zeit typischen Stilo recitativo im besten Sinne um. Die Darstellung der Affekte rückte in dieser Epoche in den Mittelpunkt und wollte ganz nah ran an den unmittelbaren emotionalen Ausdruck. (Musik) Hingebungsvoll und zärtlich preist Pia Davila die Schönheit der Maria in der Solomotette von Monteverdis Zeitgenossen Giovanni Rovetta. Der Text stammt aus dem berühmte Hohelied Salomos, für viele ein Inbegriff durchaus weltlicher Liebeslyrik. Auch dieser Text braucht nur wenig Veränderung und wird zur innigen Verehrung der Mutter Gottes. (Musik)
Das Ensemble Musica Getutscht ist auf die Musik der Spätrenaissance und des Frühbarock spezialisiert. Die Mitglieder gestalten die Affekte mit ihren Instrumenten. Manchmal reichen nur wenige Töne aus, um gemeinsam mit Pia Davila eine eindringliche Stimmung zu erzeugen wie in der „Canzonetta sopra la nanna“ von Tarquinio Merula. Maria steht an der Wiege ihres Sohnes und fühlt gleichzeitig Liebe und Angst.
Die Vokalwerke des Albums ergänzen die Musikerinnen und Musiker mit reinen Instrumentalstücken von Salamone Rossi. (Musik) Der Sänger und Geiger Salamone Rossi war zur selben Zeit wie Claudio
Monteverdi am Hof von Mantua angestellt.
Ein tiefmelancholischer Grundton prägt diese Musik. Die Melancholie ist Qual und Quelle zugleich, denn sie kennzeichnet oft einen Prozess der Veränderung und Umbrüche. Ein hoffnungsvoller
Neubeginn kann manchmal erst nach einem schmerzhaften Abschied gelingen.
Das Album „Dolente partita“ überzeugt musikalisch und mit der Zusammenstellung und passt sehr gut in die Passionszeit.
Das Opernglas, April 2024
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Davila interpretiert Texte und Musik mit einfühlsamer, glockenheller, differenziert geführter Sopranstimme. Ergreifend Merulas „Canzonetta sopra la nanna“: „Nun, da Zeit zum Schlafen ist, schlaf mein Sohn und weine nicht, denn es kommt die Zeit, da wird man weinen müssen…“ Oder das erotische Sehnen in Quagliatis „Aria sopra la Romanesca“: „O wie oft am Tag, Herr, rufe ich ach dir, sehne mich danach, deine heiligen Augen zu genießen…“ Glanzpunkt der CD ist Monteverdis „Lamento della Maddalena“, wo Davila die ganze Bandbreite ihrer überzeugend vokalen Qualitäten ausbreiten kann von zartestem Hauch bis zu strömender Wut.
Die instrumentalen Titel werden stilgerecht mit unprätentiöser Frische vom Ensemble Musica getutscht präsentiert. Herrlich Rossis „Sonata Ottava sopra l’Aria e Tanto Tempo Hormai“, das Lied, das sich unter dem Namen wie „Une jeune Fillette“ und „Ich ging einmal spazieren“ in ganz Europa ausgebreitet hat - die Geschichte von einem jungen Mädchen, das ihre Mutter anfleht, heiraten zu dürfen anstatt ins Kloster geschickt zu werden.
Gaby Helbig
Orchestergraben, Stefan Pillhofer, 12.3.2024
Interessante Kooperationen sind eines der beliebtesten Zugpferde bei der Planung von Klassikalben. Zusammen mit der Wahl der Epoche und einer überlegten Programmierung wird daraus dann ein Projekt, das bei Gelingen Hörer*innen gewinnen kann. Wenn also die kreative und projektfreudige Sopranistin Pia Davila < https://www.piadavila.com/dt/biografie/> sich der Epoche des Frühbarock zuwendet, dazu mit dem Ensemble “Musica getutscht” < https://musicagetutscht.de> absolute Expert*innen für diesen Zeitraum bekommt, und mit “Dolente Partita – Madonne e Maddalena”, Stücken von Claudio Monteverdi < https://orchestergraben.com/album-review-green-mountain-project- monteverdi-vespro-della-beata-vergine/> und Zeitgenossen, ein klar umrissenes Programm setzt, dann sind diese Parameter erfüllt.
Expertise pur
Alte Musik ist eine besondere Epoche, die sich beim Hören über Hintergrundwissen freut, und deren Aufführung historische Information und Forschung schon fast voraussetzt. “Musica getutscht” wurde im Jahr 2020 speziell zur Aufführung und zum Spiel der Werke des Frühbarock und der Renaissance gegründet, und hat sich unter der Leitung des Lautenisten Bernhard Reichel < https://bernhard- reichel.de> schnell Namen und Kompetenz in diesem Bereich erspielt, inklusive der Betreuung eines Musikzyklus in Bremen und Oldenburg. Expertise pur also für eine Aufnahme wie die vorliegende.
Die ausgewählten Stücke datieren ins ausgehende 16. Jahrhundert, die Zeit der kulturellen Gegenreformation, in der die Komponisten sakrale Inhalte mit den damals bestehenden Mitteln weltlicher Werke umsetzen wollten, sozusagen eine Art Rückfluss stilistischer Mittel von weltlichen in kirchliche Sphären. Im Speziellen bedeutete dies die neue Möglichkeit die Situation sakraler Figuren wie zum Beispiel der Maria nicht aus einer neutral-entfernteren Historienperspektive zu beschreiben, sondern ganz konkret die Gefühlswelten der dargestellten Personen auszudrücken und zu zeichnen.
Pia Davila spielfreudig
Und hier kommt Pia Davila ins Spiel, denn genau dieser Aspekt war für Sie in Entscheidung und Ausführung dieses Projektes ausschlaggebend. Trifft sich ja auch sehr gut, denn mit ihrem großen Dynamik-, Ton- und Timbreumfang hat die Sängerin zum einen beste Voraussetzungen zur vielfältigen Darstellung emotionaler Schicksale, und zum anderen passt das Vorhaben generell gut zu ihrer spielfreudigen Natur.
Bleibt Pia Davila am Anfang von Monteverdis „Salve Regina“ noch sehr getragen so baut sie diese Stimmung in Giovanni Rovettas „O Maria Quam purchase es“ weiter aus, hin zu in Timbre und Vibrato intensiver intonierten höheren Lagen. In diesem Stück ist es besonders beeindruckend hörbar wie gekonnt Pia Davila mit den Frequenzcharakteristika ihrer Stimme spielt, um die Emotionen der Zuhörer*innen anzusprechen. Gerade die ersten Töne baut sie durch perfekte Vibrato- und Dynamiksteuerung so kunstvoll auf, dass sie fast unwirklich erscheinen. Julius Lorscheider begleitet die Sängerin dabei an der Orgel mit so viel gebundener Andacht und Konzentration, dass die Stimme ideal agieren und wirken kann, aber dennoch in diesen faszinierenden harmonischen Kontext gesetzt wird.
In Tarquinio Merulas „Canzonetta sopra la nanna“, das als Wiegenlied der Mutter Maria die das Jesuskind in den Schlaf wiegt angelegt ist, singt Pia Davila mit sanftem Einfühlungsvermögen, und setzt kunstvoll die Endnoten von Gesangszeilen mit leichtem Vibrato, ausgehaucht, aber mit hohem Timbre.
Dieser große Fokus Davilas auf Tonformung zieht sich durch alle von ihr gesungenen Stücke. Die langgezogenen Töne in Quagliatis „Aria sopra la Romanesca“ verlangen da besonders viel Planung und Modellierungsfähigkeiten. Und als Gegensatz dazu singt die Sopranistin dann einige wenige Töne völlig gerade und ohne Verzierung an, ein wirkungsvoller Kontrast. Weit mehr als Begleitung ist dabei das Ensemble, das mit fein abgestimmter Agogik vor allem in den Verzierungen richtiggehend durch die Arie schreitet, und die darin thematisierte Sehnsucht nach Jesus so zeitgemäß darstellt.
Starke Kooperation – griffige Mischung
„Musica getutscht“ bekommt im Rahmenprogramm der CD viele Wirkmöglichkeiten. Die Sinfonien und Sonaten des italienisch-jüdischen Komponisten Salamone Rossi unterhalten mit den vielen von der Barockgeigerin Mechthild Karkow und dem Flötisten Claudius Kamp gekonnt ausgeführten Verzierungen, frohen und frischen Wechselspielen und von hoher Synchronität bestimmter Eingespieltheit.
Diese griffige Mischung aus Gestaltungsfreude und Fachkunde auf dem Album “Dolente Partita – Madonne e Maddalena” von Pia Davila und „Musica getutscht“ bringt mich in ein wohliges und warmes Gefühl der Besinnlichkeit und Reflexion, genau das Richtige für unseren heutigen Alltag.
Titelfoto © Andrej Grilc
ARD / SWR 2
Schmerzen der Marien: "Dolente Partita" vom Bremer Barockensemble Musica Getutscht
SWR2 Treffpunkt Klassik · 22.03.2024 · 6 Min.
Tarquinio Merulas „Canzonetta sopra la nanna“ ist ein Wiegenlied, aber ein schmerzerfülltes. Maria blickt auf das unschuldigen Wesen in ihren Armen, wünscht Sohn Jesus einen friedlichen Schlaf und ahnt doch das Grauen schon voraus. „Es kommt die Zeit, da wird man weinen müssen“, so singt sie. (Musik) Ich kann die beschriebene Szene beinahe körperlich spüren, vor dem inneren Auge sehe ich eine karge Stallwand, ich spüre eisigen Wind zwischen den Balken hereinpfeifen. Das liegt nicht nur an den vielen Krippenspielen aus Kindheitserinnerungen, sondern auch an der Interpretation. Mit nur einzelnen Tönen auf der Basslaute besetzt das Ensemble Musica Getutscht die Begleitung im Kontrast zu Pia Davilas zittrig warmer Singstimme wirkt das wie eine Metapher bitterer Armut. (Musik)
Die Musikerinnen und Musiker möchten mit diesem Album den ästhetischen Wandel um 1600 spürbar machen, größte Neuerung dieser Zeit - die Erfindung der Oper. Das hat Spuren hinterlassen, auch in der Kirchenmusik. Anstelle verworrener Mehrstimmigkeit tritt die reduziertere, aber umso kunstvollere Klangrede in ihren beiden wichtigsten Formen - Rezitativ und Arie.
(Musik) Claudio Monteverdi hat mit diesem „Salve Regina“ einen Hilferuf an die Mutter Gottes komponiert. Seine Musik bildet tonmalerisch die Gefühlswelt nach. „Zu Dir seufzen wir, trauernd und
weinend in diesem Tal der Tränen“ - so heißt es im Text. Und Monteverdi imitiert dieses Seufzen und Weinen in seiner Melodie. Pia Davila, die Sopranistin, verstärkt die Wirkung noch durch Tremoli
als würde sie von Heulkrämpfen durchgeschüttelt. (Musik)
Um beim Publikum die größtmögliche Wirkung zu erzielen, entwickelten sich im 17. Jahrhundert auch neue Gesangstechniken, etwa virtuose Koloraturen. (Musik) Diesen Lobpreis auf Maria könnte man
schon als Flirt bezeichnen, denn Komponist Giovanni Rovetta schwärmt so süßlich von der schönen Gestalt Marias, dass die erotische Ebene unüberhörbar ist, zumindest wo so verführerisch gesungen
wird wie hier von Pia Davila. (Musik)
Die Sängerin Pia Davila hat sich zuletzt im Bereich der neuen Musik und Liedgesang einen Namen gemacht, etwa als Solistin in der Oper „Licht“ von Karlheinz Stockhausen. Mit diesem Album ruft sie eindrücklich ihre Kunst des Geschichtenerzählens auch bei älterer Musik in Erinnerung und hat dabei Musikerinnen und Musiker an ihrer Seite, die diese Kunst auch instrumental fabelhaft beherrschen. Deutlich wird das in den Werken von Salmone Rossi, die das Ensemble Musica Getuscht zwischen den Arien eingestreut hat. (Musik)
Barockgeigerin Mechthild Karkow und Blockflötist Claudius Kamp werfen sich hier in einem lustvollen Wechselspiel die Phrasen zu, sie gestalten mit allen Mitteln der barocken Verzierungskunst, besonders spannend: Der Kontrast an Farben, kratzige Darmseiten, Kauzigkeit, trifft auf elegante Flötenwärme, zackige Zungenstöße auf Geigengesänge. (Musik)
Mein Fazit: Dieses Album lässt bei Barockfans keinerlei Wünsche offen und dürfte durch die emotionale und individuelle Interpretationskunst sogar den letzten Zweifler davon überzeugen, dass die
musikalische Rede des Frühbarocks selbst 400 Jahr nach Monteverdi noch mitreißen kann.
Fono-Forum Mai 2024
Pure Emotion
Arnt Cobbers
Auf den ersten Blick sind sie ein sehr ungleiches Paar: Bernhard Reichel, den ich schon vor dem Café treffe und der sich gleich als „Bernhard“ vorstellt, der in Wien geborene, jetzt in Bremen lebende Lautenist, ein eloquenter, trotz seiner langen Haare eher bodenständig wirkender Mann, der sich mit seinem Ensemble Musica getutscht ganz auf die italienische Musik der Jahrzehnte
zwischen 1550 und 1650 konzentriert – „besser hundert Jahre gut machen und wirklich kennen als 500 Jahre so halb“, sagt er später im Gespräch mit einem Grinsen hinüber zu seiner Mitstreiterin.
Und Pia Davila, die Sopranistin, die mühelos zwischen Alter und Neuer Musik hin und herpendelt, die Monteverdi und Merula ebenso gern und gut singt wie Stockhausen oder auch eine Uraufführung – und Mozart sowieso – und die sofort als Südländerin durchgehen könnte, wüsste man nicht, dass ihr mexikanischer Nachname (auf der ersten Silbe betont) angeheiratet und sie eine waschechte Berlinerin ist, die nach dem Studium in Hamburg nun in Potsdam lebt. „Wir verstehen uns trotzdem“, sagt Pia Davila lachend, als ich sie auf ihre so unterschiedlichen musikalischen Einsatzgebiete anspreche. Und dass sie „viel Spaß in den Proben“ hatten, glaubt man ihnen sofort.
Dabei heißt ihr im März erschienenes gemeinsames Album „Dolente Partita“, schmerzlicher Abschied, und ist ein absolut ernsthaftes – und sehr gelungenes – Projekt. Zentrales Stück ist Tarquinio
Merulas geniale „Canzonetta sopra la nanna“, mit dem die Muttergottes ihren Sohn in den Schlaf wiegt und zwischen Glücksgefühlen und dunklen Vorahnungen hin- und hergerissen wird. Pia Davila sang
das Stück, begleitet nur von der Laute Bernhard Reichels, bei ihrem Konzertexamen 2018 in Hamburg. 2020 gründete Reichel, gemeinsam mit dem Cembalisten Julius Lorscheider, das Ensemble Musica
getutscht. Er entwickelte um Merulas Canzonetta herum ein abendfüllendes Konzertprogramm in der Besetzung Gesang, Barockgeige (Mechthild Karkow), Blockflöte (Claudius Kamp), Laute und Cembalo –
und schließlich entstand die Idee, es auf CD zu bannen. Das Programm mit dem Untertitel „Madonne e Maddalena“ ist aber nicht nur musikalisch überzeugend, sondern auch kulturhistorisch spannend.
Zum einen kam in Italien um 1600 der Wunsch auf, die Musik möge, wie die anderen Künste auch, die Zuhörer nicht mehr nur erfreuen oder belehren, sondern auch emotional bewegen. Zum anderen
versuchte die katholische Kirche im Zuge der Gegenbewegung wieder Land zu gewinnen beim einfachen Volk. So wurden aus Maria, Maria Magdalena und den Heiligen „echte“ Menschen mit Gefühlen und
Seelenregungen. Man adaptierte den Stil der noch ganz neuen weltlichen Oper für geistliche Musik, und mehr noch, man nahm Liebeslieder mit zum Teil sogar eindeutig erotischem Subtext, wie sie an
den Adelshöfen gesungen wurden, und bezog sie auf Jesus oder die Mutter Gottes.
„O wie oft am Tag, Herr, rufe ich nach dir, sehne ich mich danach, deine heiligen Augen zu genießen. Komm zurück, ob, komm jetzt zurück, süßer Gott, ich kann nicht mehr ohne dich leben.“ Es ist
eine Frömmigkeit, die uns sehr merkwürdig anmutet, und in der Tat erinnert das an eine Folge von „Southpark“, von der Bernhard Reichel erzählt. Da kommt ein Mensch auf die Idee, mit „Christian
Rock“ Geld zu verdienen. Er nimmt Popsongs, ersetzt „Baby“ durch „Jesus“ und singt mit großem Erfolg: „Jesus, I want to hold you, Jesus, I want to touch you.“
In Rom gab es zum Beispiel Konvente, in denen Prostituierte freie Unterkunft und Logis bekamen und sich dafür Lieder anhören mussten, in denen Maria Magdalena, die „heilige Sünderin“, bekehrt wird. Um ihnen nahezulegen: Was sie geschafft hat, könnt Ihr auch!
Dennoch sind diese Arien, Lamenti und Canzonen nicht nur Musik von zum Teil großer emotionaler Kraft und Spannung – sie wurden auch geschrieben, um die Hörer in ihrem christlichen, katholischen
Glauben zu stärken. Darf man die heute einfach so profanisieren als „schöne Musik“? „Nein, diese Musik muss etwas vermitteln. Es geht um tiefe Gefühle, die wir alle schon erlebt haben. Wir waren
alle schon verliebt, wir hatten alle schon Verlustängste. Während des Musizierens darf man keine Distanz wahren, da muss man glauben“, sagt Bernhard Reichel. „Aber wenn man solch ein Programm
zusammenstellt, braucht man diese Distanz schon. Wir wollen in der Alten Musik einen kritischen Blick auf eine Epoche werfen und gucken, was war da los. Wie man damals mit den Liebesliedern
verfahren ist, ist ulkig – aber auch berührend. Das ist ein spannender Aspekt der Kulturgeschichte, finde ich.“ Und Pia Davila ergänzt: „Ob man die Musik religiös nimmt oder nicht, muss jeder
Zuhörer selbst entscheiden. Aber interessanterweise hören alle, von denen ich weiß, sie in einem geschützten Rahmen, sie sitzen zuhause mit dem Ehepartner bei einem Glas Wein und konzentrieren
sich auf die Musik. Ich habe noch von niemandem gehört, der sie im Auto nebenbei laufen lässt.“
Besonders spannend ist die Wahl der instrumentalen Intermezzi. Es sind fünf Sonaten oder Sinfonien von Salamone Rossi, der Sänger und Geiger am Hofe zu Mantua war – und Jude. „Ich wollte keine
religiöse CD machen“, sagt Bernhard Reichel. „Wenn wir an das Italien der Renaissance denken, haben wir oft dieses Klischee von der kulturellen Hochblüte, von der Schönheit im Kopf. Aber es gab
auch eine andere Seite. Es gab in Mantua ein Ghetto, die Bewohner mussten ein gelbes Abzeichen tragen. Salamone Rossi und seiner Schwester, der Sängerin Europa Rossi, war erlaubt, am Hof zu
arbeiten. Seine Werke wurden gedruckt, es gibt auch geistliche jüdische Musik von ihm. Aber mit dem Einfall der Habsburger wurde das Ghetto dem Erdboden gleichgemacht, und seitdem fehlt jede Spur
von ihm und seiner Schwester.“
Auch Paolo Quagliati, Domenico Mazzocchi oder Giovanni Rovetta sind Namen, die man kaum kennt, Reichel hat einige Forschungsarbeit in das Programm investiert. Wie er überhaupt, gemeinsam mit
seinen Mitstreitern im Ensemble, ungewöhnliche Programme in der Bremer Konzertreihe von Musica getutscht präsentiert.
Da geht es zum Beispiel (am 25. Mai im Bremer Sendesaal) um die inneren Konflikte zwischen Hedonismus und Moral, mit Stargast Hana Blažiková, um das Zusammentreffen von Tragödie und Komödie (im
Oktober) oder auch um die Geschichte eines Mittagsgelages 1567 im Vatikan – mit Büffet nach historischen Rezepten (das war leider schon im Februar). Bremen hat sich überhaupt zu einem lebendigen
Zentrum für Alte Musik entwickelt. Doch freut sich Bernhard Reichel sehr über die Zusammenarbeit mit Pia Davila, die eben nicht der „ziemlich geschlossenen“ Alte-Musik-Szene entstammt. „Sie
bringt diese Opernerfahrung ein, die ich in der Szene sehr misse. Wie man einen Charakter formt, der konsequent handelt, dieses Handlungsdenken, das lernt man in der Oper.“ Was Pia Davila gar
nicht so stehen lassen will. „Es ist bei Liedern ein ähnlicher Arbeitsprozess. Auch da überlegt man sich, was das für eine Person ist, die da singt. Man muss die Emotionen ja auch zu den Leuten
transportieren, die in unserem Fall die italienischen Texte nicht verstehen. Es ist schön, sich zu überlegen: Wie singt jemand, der traurig ist und schließlich zu einer Erlösung findet. Wie
stelle ich diesen Prozess stimmlich dar? Da fange ich mit einem wärmeren, vibratoreicheren Klang an, wo man vielleicht mehr atmet, und geht dann hinüber zu einem helleren vibratolosen Klang. Und
manchmal wechseln die Emotionen von der größten Freude zur furchtbarsten Verzweiflung unglaublich schnell. Das muss man zusammen im Ensemble gestalten, das ist eine herausfordernde, aber sehr
schöne Arbeit.“ Bernhard Reichel nennt als Beispiele die Magdalenen-Lamenti von Monteverdi und Frescobaldi: Maria Magdalena sitzt unter dem Kreuz und trauert, kommt aber schließlich zu dem
Ergebnis: Eigentlich ist es gut, dass Jesus gestorben ist. Nun werden wir erlöst, und darüber freue ich mich. Bei Monteverdi dauert dieser Prozess sieben Minuten, bei Frescobaldi zweieinhalb. Das
musikalisch glaubhaft darzustellen, ist in der Tat herausfordernd. Wie man überhaupt über die Musik von vor 500 Jahren vieles weiß – aber vieles eben auch nicht. „Man hat schon Quellen, aber man
wechselt ständig die Meinung. Wir haben vieles ausprobiert und vieles wieder verworfen“, sagt Bernhard Reichel. Und Pia Davila ergänzt: „Wir haben natürlich einen historischen Ansatz. Aber wir
erfüllen die Musik mit unserer Musikalität, mit unseren Emotionen von heute.“ Und Reichel wieder: „Wir müssen unsere Zuhörer richtig durchschütteln, das ist unsere Aufgabe, und das hätte
Monteverdi sicher auch so gesehen. Wir müssen sie zum Weinen bringen, da darf niemand mit trockenen Augen aus dem Konzert gehen.“
Zum Schluss muss aber noch aufgelöst werden, woher denn der kuriose Name des Ensembles, Musica getutscht, stammt: Es ist der Titel (in Kurzform) des ältesten gedruckten Handbuchs über
Musikinstrumente, erschienen 1511 in Basel. „Ich mag den Namen“, sagt Pia Davila. „Er ist wissenschaftlich fundiert, er ist witzig, und jeder fragt sich, was er bedeutet.“ In der Tat kein
schlechter Ansatz für ein Alte-Musik-Ensemble. Und da wir schon dabei sind: Warum lautet der Untertitel des Albums im Plural „Madonne e Maddalena“, wo es doch um die Muttergottes geht? „Ganz
ehrlich?“, fragt Bernhard Reichel und grinst. „Das ist ein Tippfehler. Der Titel war eigentlich viel länger, den haben wir in letzter Minute geändert, und dann ist der Fehler da reingeraten. Ich
habe gehofft, es merkt niemand. Wenn die Kritiken nicht ganz schlecht sind, kann man das vielleicht verraten.“ Ich denke, das kann man. Das Album „Dolente Partita“ ist nämlich wirklich sehr
gelungen – was übrigens auch Reinmar Emans in seiner Rezension auf S. 73 so sieht.